Ein Jahr Pilotphase Gewaltambulanz Graz: Wie Betroffenen geholfen wird
Erste Zwischenbilanz: 237 klinisch-forensische Untersuchungen in 12 Monaten, Frauen überwiegend betroffen
Die Gewaltambulanz an der Medizinischen Universität Graz leistet Pionierarbeit im klinisch-forensischen Gewaltschutz, seit Mai 2024 in eigens dafür adaptierten Räumlichkeiten und im Rahmen des Pilotprojektes „Modellregion Süd“. In Fällen körperlicher und sexualisierter Gewalt ist es entscheidend, Beweise frühzeitig, objektiv und gerichtsverwertbar zu sichern – ein zentraler Beitrag zur Aufklärung von Straftaten und zur Unterstützung von Gewaltbetroffenen.
Mehr gerichtsverwertbare Untersuchungen als in allen anderen Ambulanzen
Zwischen April 2024 und März 2025 wurden 237 klinisch-forensische Untersuchungen nach gerichtsmedizinisch-fachärztlichem Standard durchgeführt. Das umfasst die schriftliche Befundung, Fotodokumentation und fallbezogene Spurensicherung und ist der bei weitem höchste Wert im österreichweiten Vergleich. Zusätzlich wurden 31 externe Spuren und andere Beweise, sog. Asservate – etwa von gynäkologischen Ambulanzen – übernommen und gelagert.
Von den 237 Untersuchungen wurden 118 direkt in den Untersuchungsräumlichkeiten der Gewaltambulanz Graz durchgeführt und 119 in einem interdisziplinären Setting extern, d.h. in Zusammenarbeit mit Ärzt:innen aus anderen Fachdisziplinen in den jeweiligen Kliniken; dies trifft insbesondere auf Untersuchungen von Kindern und auf gynäkologische Untersuchungen zu.
Die Fallzahlen haben sich im Vergleich zum Zeitraum 2020–2023 in den ersten 12 Monaten der Pilotprojekt-Laufzeit beinahe verdreifacht (Faktor 2,84), ein deutlicher Hinweis auf die Notwendigkeit und Wirksamkeit des niedrigschwelligen Angebots. Die jüngste untersuchte Person war zwei Wochen, die älteste 73 Jahre alt. Gewalt betrifft alle Altersgruppen – und sexualisierte Gewalt insbesondere Frauen: 97 % der Betroffenen in entsprechenden Fällen waren weiblich. Am häufigsten dokumentiert wurden Verdachtsfälle der körperlichen Gewalt (66% der Fälle). Auch hier waren überwiegend weibliche Personen betroffen – bei den volljährigen Betroffenen lag der Anteil bei 85%.
Verbesserte Strafverfolgung durch gerichtsverwertbare Beweise
Jede Untersuchung erfolgt individuell und mit ausreichend Zeit für Gespräche. Das schafft Vertrauen – eine Voraussetzung, damit Betroffene sich öffnen und weitere Hilfe in Anspruch nehmen können. Gleichzeitig liefert die Ambulanz gerichtsfeste Beweismittel, die wesentlich zur Aufklärung und Verurteilung beitragen.
Modell mit Strahlkraft
Mit diesem Modellprojekt ist die Gewaltambulanz Graz Vorreiterin in Österreich. Anfang 2025 wurde auch in Wien eine weitere klinisch-forensische Untersuchungsstelle eröffnet, die Betroffenen verfahrensunabhängig und kostenlos zur Verfügung steht. Ein weiterer Ausbau der Gewaltambulanzen ist geplant.
Wortspenden
Dr.in Anna Sporrer, Justizministerin: „Die erstmalige Einrichtung von Gewaltambulanzen markierte einen echten Paradigmenwechsel in der Unterstützung und Versorgung von Gewaltbetroffenen in Österreich. Die Bilanz nach 12 Monaten zeigt eindrucksvoll wie notwendig und wirksam diese Arbeit ist. Als niederschwellige Anlaufstelle vereint die Gewaltambulanz die Expertise aus Medizin, Justiz und Opferschutz – mit dem Ziel, Straftäter effektiver zu verfolgen und Betroffene, überwiegend Frauen, besser zu schützen.“
Eva-Maria Holzleitner, BSc, Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung: „Mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen machen wir als Bundesregierung unmissverständlich klar, dass Gewaltschutz unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist. Die Gewaltambulanz in Graz zeigt eindrucksvoll, was dieser Anspruch in der Praxis bedeutet: konkrete Hilfe, professionelle Spurensicherung und ein System, das Betroffenen den Rücken stärkt. Mit dem abgesicherten Frauenbudget stellen wir sicher, dass diese wichtige Arbeit auch künftig verlässlich finanziert wird.“
Prof.in Dr.in Sarah Heinze, Leiterin des Diagnostik- und Forschungsinstituts für Gerichtliche Medizin: „Wir sind ein wesentliches Puzzleteil in einer vielfältigen Unterstützungslandschaft. Durch unsere Tätigkeit schaffen wir eine Übersetzungsleistung zwischen dem Strafrechtssystem, der medizinischen Versorgung und der forensischen, objektiven Spurensicherung. Für eine von Gewalt betroffene Person wird es möglich, vor Gericht zu sagen: Das ist passiert. Ich kann es beweisen.“
Prof.in Dr.in Andrea Kurz, Rektorin der Medizinischen Universität Graz: „Als Medizinische Universität Graz tragen wir eine besondere gesellschaftliche Verantwortung – insbesondere in sensiblen Bereichen wie dem Gewaltschutz. Die Gewaltambulanz ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie medizinische Expertise und soziale Verantwortung Hand in Hand gehen. Dass hier bereits über 230 gerichtsverwertbare Untersuchungen in nur einem Jahr durchgeführt wurden, zeigt die große Notwendigkeit dieses niedrigschwelligen Angebots. Wir sehen es als unseren Auftrag, Betroffenen von Gewalt bestmögliche Unterstützung zu bieten – kompetent, respektvoll und evidenzbasiert. Der universitäre Kontext garantiert höchste Qualitätsstandards, wissenschaftliche Weiterentwicklung und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Es ist uns ein zentrales Anliegen, dass der Gewaltschutz dauerhaft und strukturell in der universitären Medizin verankert ist.“
Mag. Michael Schwanda, Präsident des Oberlandesgerichts Graz: „Die Arbeit der Gewaltambulanz ist für die Gerichte und Staatsanwaltschaften von besonderer Bedeutung. Hier werden Gewaltbetroffene nicht allein niederschwellig unterstützt und versorgt, es werden Verletzungen dokumentiert und damit Beweise für mögliche Strafverfahren gesammelt. Die Gründung der Gewaltambulanz in Graz war damit auch aus strafrechtlicher Sicht ein Meilenstein.“
Mag.a Verena Oswald, Richterin am Landesgericht für Strafsachen Graz: „Vielfach werden Gewalt- bzw. Sexualdelikte im familiären Nahebereich hinter verschlossenen Türen begangen. Das bringt Schwierigkeiten in der Beweisbarkeit der Vorwürfe mit sich. Hier leistet die Gewaltambulanz einen entscheidenden Beitrag. Durch die Befundung der Verletzungen eines Opfers steht ein weiteres Beweismittel zur Verfügung, auf welches sich das Gericht in der Urteilsfindung stützen kann.“
Rückfragen & Kontakt
Bundesministerium für Justiz Sina Bründler, Ressortmediensprecherin Telefon: +43 676 89 89 12 070 E-Mail: medienstelle.ressort@bmj.gv.at |
Medizinische Universität Graz Thomas Edlinger, BA Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement Tel.: +43 316 385 72055 thomas.edlinger@medunigraz.at |