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Unterbringungsgesetz- und IPR-Gesetz-Novelle 2021

Ministerialentwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Unterbringungsgesetz, das Sicherheitspolizeigesetz, das IPR-Gesetz, das Außerstreitgesetz und die Jurisdiktionsnorm geändert werden (Unterbringungsgesetz- und IPR-Gesetz-Novelle 2021 – UbG-IPRG-Nov 2021)

Reform des Unterbringungsgesetzes 

Hauptanliegen des Entwurfs

Im sogenannten „Brunnenmarktfall“ zeigten sich im Zusammenhang mit der Einweisung eines psychisch Kranken in die Psychiatrie Kommunikations- und Organisationsdefizite beim Einweisungsvorgang. Eine bessere Vernetzung der mit psychisch kranken Menschen befassten Einrichtungen und Stellen ist daher ein wesentliches Anliegen des Entwurfs. Zugleich soll dabei der Datenschutz nicht zu kurz kommen (siehe unten Punkt 5.).

Ein weiteres zentrales Ziel ist, dass Patient*innen bei der Unterbringung trotz ihrer aktuellen Gesundheitssituation ihre Handlungsspielräume so gut wie möglich nutzen können. Es sollen daher gesetzlich starke Anreize dafür geschaffen werden, dass alle, die bei der Unterbringung von Patient*innen eine wichtige Funktion haben, das Gespräch mit diesen suchen und sie entsprechend unterstützen. Damit wird auch die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt (siehe Punkte 7. und 8.).

Im Auftrag von Justiz-, Innen- und Gesundheitsministerium stellte das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) im Frühjahr 2019 eine Untersuchung fertig, die zuvor von der „Brunnenmarktkommission“ eingefordert worden war. Auf der Grundlage dieser Untersuchung der unterschiedlichen Unterbringungspraktiken in den einzelnen Bundesländern soll es nun für weitere Praxisprobleme eine gesetzliche Lösung geben (siehe die Punkte 1., 2., 3., 6. und 10.). Außerdem soll das Unterbringungsgesetz (UbG) einen eigenen Abschnitt mit speziellen Regeln für die Unterbringung Minderjähriger erhalten (siehe Punkt 9.).

Partizipative Erarbeitung des Entwurfs

Der Gesetzesentwurf wurde vom Bundesministerium für Justiz gemeinsam mit dem Innen- und dem Gesundheitsministerium erarbeitet. Dies erfolgte in einem mehrjährigen partizipativen Prozess mit mehr als 40 Sitzungen. Daran teilgenommen haben „psychiatrieerfahrene“ Menschen, Familienangehörige und Expert*innen aus den Bereichen Psychiatrie, Patientenanwaltschaft, Justiz und Wissenschaft sowie Vertreter*innen von Sozialen Diensten und der Kinder- und Jugendhilfe. 

Wesentliche Inhalte des Entwurfs

1. Definitionen

Zur Verbesserung der Verständlichkeit des Gesetzes werden in § 2 Abs. 2 UbG des Entwurfs wichtige Begriffe des UbG definiert.

2. Ärztepool

Im Entwurf ist der Landeshauptfrau bzw. dem Landeshauptmann die Möglichkeit eingeräumt, Ärztinnen bzw. Ärzte zu ermächtigen, eine Bescheinigung nach § 8 UbG auszustellen. Dies kann etwa in Gestalt eines Ärztepools erfolgen. Der bzw. dem Bundesminister*in für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz kommt dabei eine wichtige Steuerungsfunktion zu: Sie bzw. er hat mit Verordnung die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Ermächtigung bzw. die Entziehung der Ermächtigung festzulegen. Primärversorgungseinrichtungen soll diese Möglichkeit dagegen nicht mehr zukommen.

3. Klärung der Aufgaben aller Akteurinnen bzw. Akteure

Durch sprachliche Umformulierungen und durch eine bessere Strukturierung der einzelnen Bestimmungen soll es zu Klarstellungen kommen: Welche Aufgaben haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die einweisende Ärztin bzw. der einweisende Arzt sowie die Fachärztin bzw. der Facharzt der psychiatrischen Abteilung im Rahmen der Klärung der Voraussetzungen der Unterbringung.

Außerdem sollen sämtliche Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zusammenhang mit Unterbringungen abschließend im UbG (vgl. § 9 UbG) geregelt werden. Die (parallelen) Bestimmungen im Sicherheitspolizeigesetz (SPG) sollen daher entfallen

4. Weisungsrecht

Wer zu hoheitlichem Handeln beliehen ist, muss staatlichen Organen gegenüber weisungsgebunden sein. Träger*innen einer Sonderkrankenanstalt für Psychiatrie oder einer Krankenanstalt, die über psychiatrische Abteilungen verfügt, sind mit der Befugnis beliehen, Freiheit und andere Rechte zu beschränken. Damit wird diese*r Träger*in „Behörde“. Dem Gesundheitsministerium sollen daher in Angelegenheiten des UbG die Aufsicht über solche Anstaltsträger*innen und eine Weisungsbefugnis eingeräumt werden.

5. Kooperation und Kommunikation - Datenschutz

Im Zuge der Arbeiten an der Reform hat sich gezeigt, dass Missverständnisse unter den Akteur*innen und Informationsverluste (z.B. aufgrund unleserlicher Handschrift) zu falschen, gefährlichen und unbefriedigenden Entscheidungen führen können. Die Kommunikation und Kooperation zwischen den verschiedenen Stellen, die mit psychisch kranken Personen mit Selbst- und Fremdgefährdungspotenzial zu tun haben, ist zweifellos verbesserungswürdig. Es ist daher eines der wesentlichen Ziele dieser Reform, mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Vorgeschlagen wird, grundsätzlich für jede Berufsgruppe gesondert für alle denkbaren Situationen zu regeln, wer wem welche Daten zu welchem Zweck übermitteln darf. Dies soll unter Beachtung der Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erfolgen.

Bisher wurden Patient*innen manchmal aus psychiatrischen Abteilungen entlassen, obwohl sie nicht wussten, wohin sie sich nun wenden sollen. Daher soll sich die Ärztin bzw. der Arzt im Zuge der Aufhebung der Unterbringung um eine angemessene extramurale soziale und psychiatrische Betreuung bemühen, wenn sie bzw. er das für erforderlich hält. Damit soll ein nachhaltiger Behandlungserfolg erzielt werden. Der dafür nötige Datenaustausch soll eine gesetzliche Regelung erfahren.

6. Eigenmächtiges Fernbleiben und Behandlung außerhalb der psychiatrischen Abteilung

Diese beiden Sachverhalte sind nach derzeit geltendem Recht ungeregelt. Sie sollen in Anlehnung an die von der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien nun gesetzlich geregelt werden. Auf diese Weise soll für Patient*innen, Patientenanwältinnen bzw. -anwälte, Ärztinnen bzw. Ärzte und Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes klargestellt sein, welche Regelungen - UbG oder Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) - auf die Patientin bzw. den Patienten anwendbar sind.

7. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention: Stärkung der Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung der Patient*innen

Nach dem Entwurf soll eine Person nur noch auf ihr eigenes Verlangen untergebracht werden können, unabhängig davon, wie alt sie ist. Eine Unterbringung auf Verlangen einer gesetzlichen Vertreterin bzw. eines gesetzlichen Vertreters soll nicht mehr möglich sein; auch nicht bei entscheidungsunfähigen Minderjährigen. Es soll auch gewährleistet werden, dass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die Ärztinnen bzw. Ärzte im Sinn des § 8 Abs. 1 und die Ärztinnen bzw. Ärzte in psychiatrischen Abteilungen selbst mit den Patient*innen sprechen. Patient*innen sollen auch die Möglichkeit haben, eine*n Vertreter*in oder eine Vertrauensperson namhaft zu machen. Auf dieses Recht müssen sie hingewiesen werden. Neben einer gewählten Vertretung soll die - im Sinn des Grundrechtsschutzes höchst effiziente - Vertretung der Patientenanwaltschaft immer bestehen bleiben. Patient*innen sollen das Recht haben, zur Erstanhörung und zur mündlichen Verhandlung eine Vertrauensperson mitzunehmen. Die mündliche Verhandlung ist in Zukunft nicht öffentlich, kann aber auf Verlangen der Patientin bzw. des Patienten oder deren bzw. dessen Vertreterin bzw. Vertreters öffentlich gemacht werden. Es soll nach Möglichkeit im Zuge der Aufhebung der Unterbringung über den Aufenthalt der Patientin bzw. des Patienten außerhalb der Anstalt nachgedacht und ein Behandlungsplan vereinbart werden. Damit sollen Ärztin bzw. Arzt und Patient*in eine Art Anleitung für den Fall einer neuerlichen Aufnahme haben.

8. Medizinische Behandlung

Die – von der UN-Behindertenrechtskonvention geprägten – Regelungen des 2. Erwachsenenschutzgesetzes (ErwSchG) sollen auch bei untergebrachten Patient*innen zur Anwendung kommen. Entscheidungsfähige Patient*innen dürfen daher stets nur mit deren Einwilligung behandelt werden. Fehlt es an der Entscheidungsfähigkeit, so hat die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt die Verpflichtung, Personen beizuziehen, die die Patientin bzw. den Patienten bei der Erlangung der Entscheidungsfähigkeit unterstützen können. Die gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse werden neu geregelt und beim Unterbringungsgericht konzentriert. Weiters soll klargestellt werden, wie vorzugehen ist, wenn ein*e entscheidungsunfähige*r Patient*in keine*n Vertreter*in hat. Auf Verlangen der Patientin bzw. des Patienten, der Vertreterin bzw. des Vertreters der Patientin bzw. des Patienten oder der Abteilungsleiterin bzw. des Abteilungsleiters muss das Gericht immer über die Zulässigkeit einer medizinischen Behandlung entscheiden.

9. Besondere Bestimmungen für die Unterbringung Minderjähriger

In einem eigenen Abschnitt sollen spezielle Regelungen für die Unterbringung Minderjähriger vorgesehen werden. Dies teils als Ergänzungen zu den allgemeinen Bestimmungen, teils als leges speciales (spezielle Bestimmungen). Hier sollen besondere Kooperationsverhältnisse rechtlich ermöglicht und soll den Elternrechten der ihnen gebührende Stellenwert eingeräumt werden. Außerdem sollen besondere Vorgaben beim Vollzug der Unterbringung geschaffen werden, beispielsweise im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen und so genannten „alterstypischen“ Maßnahmen.

10. Missverständnisse bei der Auslegung des UbG

Wie gezeigt, war in den Diskussionen in der Arbeitsgruppe festzustellen, dass selbst unter prominenten Praktiker*innen des UbG Unklarheiten über die Erfordernisse des § 3 UbG herrschen. Mitunter wurde daher gefordert, in den Entwurf eine Legaldefinition für „ernstliche und erhebliche Gefährdung“ aufzunehmen. Eine gesetzliche Klärung bringt aber angesichts der Komplexität und der Fülle der denkbaren Fälle das Risiko gefährlicher Gegenschlüsse mit sich. Daher werden in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf an Hand von Literatur und Judikatur einige wichtige Klarstellungen zu den Voraussetzungen der Unterbringung getroffen. 

Novellierung des IPR-Gesetzes

Mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz wurde die vormalige Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger (kurz: Angehörigenvertretung) durch das Institut der „gesetzlichen Erwachsenenvertretung“ fortentwickelt. Neu ist daran, dass erst die Eintragung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung in das Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) durch eine*n Notar*in, Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt oder einen Erwachsenenschutzverein die Vertretung entstehen lässt.

Im Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz bzw. IPRG) war bislang nicht spezifisch geregelt, nach welchem Recht bei Fällen mit Auslandsbezug die gesetzliche Erwachsenenvertretung (bzw. die vormalige Angehörigenvertretung) zu beurteilen ist. Die Kollisionsnorm des § 15 IPRG (Maßnahmen zum Schutz Erwachsener) erfasst nach herrschender Lehre nur die gerichtliche Erwachsenenvertretung, sofern ein Fall nicht vom Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) erfasst ist. Auch die Kollisionsnormen HESÜ sind zur Beurteilung der Entstehung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung nicht anwendbar, weil die Entstehung nach herrschender Auffassung keiner „Maßnahme“ im Sinn des HESÜ bedarf.

Für die Praxis ist nach aktueller Rechtslage nicht eindeutig geklärt, nach welchem Recht zu beurteilen ist, ob für eine Person mit fremder Staatsangehörigkeit ein*e gesetzliche*r Erwachsenenvertreter*in in das ÖZVV eingetragen werden kann oder nicht. Es gibt Argumente sowohl für die Anwendung des Rechts der Staatsangehörigkeit (Personalstatut) als auch für die Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts. Weil in vielen Staaten eine Vertretung von Gesetzes wegen nicht vorgesehen ist, kann bei Anwendung des Personalstatuts in zahlreichen Fällen eine Eintragung einer gesetzlichen Erwachsenenvertretung nicht vorgenommen werden. In der Praxis wird aufgrund dieser Rechtsunsicherheit die Eintragung einer gesetzlichen Erwachsenenvertretung fallweise verweigert, obwohl die Voraussetzungen nach österreichischem Recht erfüllt wären. Hier muss ein*e gerichtliche*r Erwachsenenvertreter*in bestellt werden.

Da diese Situation nicht wünschenswert ist, wird nun vorgeschlagen, in § 15 Abs. 2 IPRG eine eigene Kollisionsnorm für die Vertretung von Gesetzes wegen zu verankern und dabei auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen. Dies ermöglicht gesichert die Eintragung von Angehörigen als Erwachsenenvertreter*innen für ausländische Staatsangehörige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt – womöglich schon seit Jahrzehnten – in Österreich haben. 

Zudem wird § 15 IPRG durch den Verweis auf die im Erwachsenenschutzrecht primär anwendbaren Kollisionsnormen des HESÜ in Abs. 1 anwenderfreundlicher gestaltet. Die bisherigen Abs. 1 und 2 werden in die Abs. 3 und 4 verschoben und entsprechend ergänzt.

In § 26 IPRG (Annahme an Kindesstatt) ist eine eindeutige Altersgrenze (Vollendung des 18. Lebensjahrs) vorgesehen. Dies dient zur Klarstellung, dass die in Abs. 1 zweiter Satz vorgesehene Erleichterung der Adoption nicht von der Entscheidungsfähigkeit des Wahlkindes abhängen soll, die grundsätzlich im Einzelfall zu prüfen ist. Durch das Abstellen auf die Altersgrenze wird die Bestimmung präziser und einfacher in ihrer Anwendung.

Die restlichen vorgeschlagenen Änderungen betreffen die Bestimmung über das Inkrafttreten (§ 50 IPRG) sowie redaktionelle Anpassungen im Außerstreitgesetz und in der Jurisdiktionsnorm. 

Die Begutachtungsfrist endet am 19. April 2021.

Downloads
Gesetzestext (PDF, 567 KB)
Erläuterungen (PDF, 842 KB)
Textgegenüberstellung (PDF, 427 KB)
Vereinfachte wirkungsorientierte Folgenabschätzung (PDF, 214 KB)